Warum Ihr Aufschiebeverhalten Ihnen mehr über Ihr Glück verrät, als Sie denken

Wenn Sie in einem scheinbar endlosen Kreislauf aus Aufschieberei, Schuldgefühlen und Chaos gefangen sind, fragen Sie sich vielleicht: „Warum bin ich so faul?“ oder „Warum kann ich nicht einfach diese Sache erledigen?“ Trotz der weit verbreiteten Auffassung ist Faulheit in der Regel nicht der Grund für Aufschieberitis. Wenn Sie jemals eine wichtige Aufgabe aufgeschoben haben und stattdessen beispielsweise wie eine unserer Mitarbeitenden die verschiedenen Teesorten alphabetisch sortiert haben, wissen Sie, dass es nicht fair ist, sich selbst als faul zu bezeichnen. Schließlich erfordert die alphabetische Sortierung Konzentration und Energie – und vielleicht haben Sie sich sogar die Mühe gemacht, jedes Päckchen vorher sorgsam abzuwischen, bevor Sie es zurückstellen.

Bei Faulheit haben Sie überhaupt keine Lust an die Arbeit zu denken, bei Aufschieberitis bekommen Sie gleich schlechte Gefühle, wenn Sie daran denken. Und deshalb fällt es Ihnen schwer, die Aufgabe zu erledigen. Das ist ein großer Unterschied.

Etymologisch leitet sich das Wort „Prokrastination“ vom lateinischen Verb „pro“ (vor) und „crastinare” (schieben) ab – auf morgen verschieben. Aber Aufschieberitis oder Prokrastination ist mehr als nur eine freiwilliges vor sich herschieben. Sozialwissenschaftler definieren Prokrastination als das Aufschieben einer Aufgabe über einen unpassend langen Zeitraum - und diese Angewohnheit betrifft fast alle von uns. Eine Studie kommt zu dem Schluss, dass Studierende Meister der Aufschieberitits (mehr als 70% aller Studierenden sind davon betroffen) und mehr als 20% aller Erwachsenen chronische Aufschieber sind.

Aufschieberitis hat einen schlechten Ruf. Und das nicht umsonst: Das Aufschieben notwendiger Routineaufgaben führt nicht nur zu schlechten Gefühlen, sondern auch dazu, dass sich Ihre Arbeit immer mehr anhäuft. Prokrastination wird typischerweise als ein Problem des Zeitmanagements angesehen. Bei bestimmten kreativen Aufgaben kann aber ein wenig Aufschieben tatsächlich von Vorteil sein.

Die besondere Art unserer Abneigung hängt von der jeweiligen Aufgabe oder Situation ab. Es kann daran liegen, dass die Aufgabe selbst etwas Unangenehmes mit sich bringt – ein schmutziges WC reinigen zu müssen oder einen Bericht für Ihren Chef zu schreiben. Es kann aber auch auf Gefühle im Zusammenhang mit der Aufgabe zurückzuführen sein, wie ein geringes Selbstwertgefühl, Angst oder Unsicherheit. Wenn Sie auf ein leeres Dokument starren, denken Sie vielleicht: „Ich kann das nicht. Ich bin nicht schlau genug. Selbst wenn ich es wäre, was werden die Leute davon halten? Was ist, wenn ich meinen Job schlecht mache?” All das kann uns zu der Annahme verleiten, dass es eine bessere Idee ist, das Dokument beiseite zu legen und stattdessen die Teesorten zu sortieren.

Das Problem ist, dass dieses Verhalten nur die negativen Assoziationen verstärkt, die wir mit der Aufgabe haben. Noch schlimmer: Diese Gefühle werden immer noch da sein, wenn wir die Aufgabe irgendwann machen müssen, zusammen mit erhöhtem Stress und Ängsten, Gefühlen von geringem Selbstwertgefühl und Selbstvorwürfen.

Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von Forschungsarbeiten, die sich den grübelnden, selbstvorwerfenden Gedanken widmen, die viele von uns im Zuge des Aufschiebens haben und die als „aufschiebende Wirkung“ bekannt sind. Die Gedanken, die wir über das Aufschieben haben, verschlimmern typischerweise unseren Stress, was zu weiterem Aufschieben beiträgt.

Die vorübergehende Erleichterung, die wir beim Aufschieben verspüren, macht den Teufelskreis tatsächlich besonders gefährlich. In der unmittelbaren Gegenwart verschafft das Aufschieben einer Aufgabe zunächst Erleichterung. Sie werden also dafür belohnt, dass Sie zögern. Nun neigen Menschen dazu, etwas zu wiederholen, für das sie bereits einmalig belohnt wurden. Genau aus diesem Grund ist Prokrastination in der Regel kein einmaliges Verhalten, sondern ein Kreislauf, der schnell zu einer chronischen Gewohnheit wird.

Es erscheint aber irgendwie ironisch, da wir durch das Aufschieben zwar zunächst negative Gefühle vermeiden, die aber letzten Endes zu noch schlechteren Gefühlen führen. Die Ursache dafür liegt an der Evolution. Aufschieberitis ist ein perfektes Beispiel für die gegenwärtige Voreingenommenheit, unsere fest verankerte Tendenz, kurzfristige Bedürfnisse vor langfristigen zu priorisieren. Wenn wir zögern, denken Teile unseres Gehirns, dass die Aufgaben, die wir aufschieben – und die damit einhergehenden negativen Gefühle, die uns auf der anderen Seite erwarten – das Problem eines anderen sind.

Erschwerend kommt hinzu, dass wir inmitten von Stress noch weniger in der Lage sind, durchdachte, zukunftsorientierte Entscheidungen zu treffen. Wenn wir vor einer Aufgabe stehen, die uns ängstlich oder unsicher macht, nimmt unsere Amygdala diese Aufgabe als echte Bedrohung wahr, in diesem Fall für unser Selbstwertgefühl oder unser Wohlbefinden. Selbst wenn wir intellektuell erkennen, dass das Aufschieben der Aufgabe uns in Zukunft noch mehr Stress bereiten wird, ist unser Gehirn immer noch darauf eingestellt, sich in der Gegenwart stärker mit der Beseitigung der Bedrohung zu befassen. Forscher nennen das den „Amygdala-Hijack“.

Beim Aufschieben geht es im Kern um Emotionen und nicht um Produktivität. Die Lösung besteht also nicht darin, eine Zeitmanagement-App herunterzuladen oder neue Strategien zur Selbstkontrolle zu erlernen. Vielmehr müssen wir unsere Emotionen auf eine neue Art und Weise zu betrachten. Hier sind 5 Tipps, wie Sie die richtigen Dinge richtig aufschieben.

1. Analysieren Sie Ihr Verhalten

Während strategisches, gelegentliches Aufschieben von Vorteil sein kann, ist das chronische Aufschieben meistens ein Problem. Um herauszufinden, ob Sie darunter leiden, fragen Sie sich, ob Sie sich durch die Art und Weise, wie Sie Aufgaben hinauszögern, viel Stress erzeugen oder unglücklich sind. Lassen Sie am Wochenende Zeit mit Freunden und Familie aus, um Arbeiten zu erledigen, die Sie unter der Woche hätten erledigen sollen? Oder sind Sie die halbe Nacht wach (und dadurch tagsüber müde), um Ihre Arbeiten zu erledigen, auch wenn Sie tagsüber genügend Zeit dafür hätten?

Wenn Sie die oben genannten Fragen mit „Ja“ beantwortet haben, versuchen Sie, an Ihrer Achtsamkeit zu arbeiten. Forscher haben herausgefunden, dass man besser bei der Sache bleibt und weniger dazu neigt, Aufgaben aufzuschieben, wenn man sich auf das Hier und Jetzt konzentriert, statt ständig an die Zukunft zu denken. Sie müssen nicht für einen Monat in ein Kloster gehen, um das zu erreichen. Es reicht, sich bewusst zu machen, was Sie gerade tun.

2. Setzen Sie Prokrastination strategisch ein.

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass das Aufschieben von Aufgaben, die Kreativität und Innovation erfordern, zu besseren Ergebnissen führen kann. In einer Studie gaben Psychologen den Teilnehmenden verschiedene Probleme, die sie lösen sollten. Gleichzeitig brachten sie die Teilnehmer dazu, die Aufgaben absichtlich aufzuschieben. Dabei stellten sie fest, dass diejenigen, die die Aufgaben nur ein bisschen hinauszögerten (im Durchschnitt fast acht Minuten), viel kreativere Ideen hatten als diejenigen, die nach etwas mehr als einer Minute oder erst nach zwölf Minuten Prokrastination an die Arbeit gingen. Manche Aufgaben brauchen also ein bisschen Zeit zum Reifen – nicht zu viel und nicht zu wenig – gerade genug, damit die Ideen fließen können.

3. Vergeuden Sie Ihre Zeit nicht.

Denken Sie daran, dass es bei kreativen Aufgaben manchmal gut ist, sie zu verschieben, weil es Ihnen die Möglichkeit gibt, Ihre Ideen zu überprüfen und zu verfeinern. Aber das klappt nicht, wenn Sie die gewonnene Zeit mit Katzenvideos oder anderem sinnlosen Surfen verbringen. Im Gegenteil, Studien zeigen, dass mehr Bildschirmzeit oft zu noch mehr Aufschieben führt. Wenn Sie also eine Aufgabe nicht sofort erledigen wollen, gehen Sie lieber spazieren – das kann nachweislich die Kreativität anregen.

4. Streben Sie nicht 100% an.

Hemingway sagte einmal, dass der beste Zeitpunkt, mit der Arbeit aufzuhören, der ist, wenn man sich gut fühlt und genau weiß, wie es weitergeht. Am nächsten Tag, so Hemingway, ist es dann leichter den Roman weiterzuschreiben, ohne ins Stocken zu geraten. Eine japanische Studie bestätigt diesen Ansatz: Probanden, die ein klares Ende vor Augen hatten, waren deutlich motivierter, eine Aufgabe zu Ende zu bringen, als diejenigen, die das nicht hatten. Statt jeden Tag zu versuchen, eine Aufgabe vollständig abzuschließen, sollten Sie bei etwa 80 Prozent aufhören. Am nächsten Tag können Sie dann dort weitermachen, wo Sie aufgehört haben, und anschließend mit der nächsten Aufgabe fortfahren. Wiederholen Sie dieses Muster.

5. Lassen Sie es sein

Noch etwas, das Sie beachten sollten: Vielleicht schieben Sie immer wieder bestimmte Aufgaben auf, wie zum Beispiel einen Bericht zu schreiben oder ein Telefonat zu führen, und keiner der Tipps scheint Ihnen zu helfen. In solchen Fällen könnte Ihr Problem nicht nur das Aufschieben sein – vielleicht hassen Sie diese Aufgabe einfach, weil sie Sie unglücklich macht. Die beste Lösung könnte dann sein, das Aufschieben zu vermeiden, indem Sie diese Aufgabe ganz lassen. Sie könnten jemanden dafür bezahlen, der den Bericht für Sie schreibt. Vielleicht kostet Sie das Geld, aber die Zeit, die Sie dadurch gewinnen, kann Sie glücklicher machen, wenn Sie sie sinnvoll nutzen.

Wenn Sie beispielsweise feststellen, dass Sie das Telefonieren wirklich nicht ausstehen können, Sie aber in Ihrem jetzigen Job viel telefonieren müssen, könnte es an der Zeit sein, einen Job zu suchen, der Ihnen mehr Freude bereitet. Auch wenn Aufschieben oft unangebracht erscheint, kann es Ihnen manchmal zeigen, was Sie wirklich glücklich macht. Es liegt an Ihnen, darauf zu hören.